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Das Bild "Königin der Apostel" und seine spezifisch pallottinische Ikonografie

Vinzenz Pallotti hat der Vereinigung des Katholischen Apostolates mit dem von Serafino Cesaretti ausgeführten Ölgemälde „Königin der Apostel“, das die Herabkunft des Heiligen Geistes zeigt, ein geistliches Vermächtnis gegeben. Immer wieder wurde auf den schöpferischen Anteil Pallottis an der Ikonografie dieser Pfingstdarstellung verwiesen. Um die Eigenständigkeit des Werkes gegenüber der Bildtradition des Pfingstthemas herauszuarbeiten, werden die Entstehungsgeschichte des Gemäldes, eine knappe Darstellung der allgemeinen Ikonografie des Pfingstgeschehens in der Kunst und ein Vergleich von Vorlage und ausgeführtem Bild „Königin der Apostel“ zusammengeführt.

 

Mit einem Schreiben vom 14. August 1844 wurde Vinzenz Pallotti und der Vereinigung des Katholischen Apostolates die Kirche und das dazugehörige Haus von San Salvatore in Onda übertragen. (1) Am 27. Februar 1845 erfolgte die formelle Übergabe. (2) Es stand nun eine grundlegende Sanierung von Haus und Kirche an. Im Herbst 1846 konnte schließlich mit der Neugestaltung der Kirche begonnen werden, und laut Josef Frank ließ Vinzenz Pallotti die Altäre mit neuen Bildern ausstatten. (3)

Serafino Cesaretti, ein italienischer Kupferstecher und Maler, erhielt im Juni 1848 vom Hausrat des Ritiro San Salvatore in Onda den Auftrag, das Bild der „Königin der Apostel“ als Bild für den Hauptaltar zu malen. Die Rechnung für das Gemälde nach einem Stich von Johann Friedrich Overbeck unterzeichnete Cesaretti am 2. Oktober 1848. (4) Heute befindet sich das Gemälde „Königin der Apostel“ als Altarbild in der Kirche Regina degli Apostoli in Rom.

 

In der Literatur wird herausgestellt, dass Vinzenz Pallotti dem Maler Cesaretti Angaben bezüglich der Ausführung des Bildes gab, und es wird ausgesagt, dass die ikonografische Vorlage für dieses Werk ein Stich des deutschen Malers Johann Friedrich Overbeck (*1789 in Lübeck, †1869 in Rom) war. (5) Manche Autoren sprechen auch von einer „Zeichnung“ Overbecks (6) und darüber hinaus wird auch von einem „Entwurf“ (7) geschrieben, was sogar implizieren könnte, dass Overbeck direkt zur Erstellung einer Vorlage aufgefordert war. Wie jedoch die unterzeichnete Rechnung belegt, war tatsächlich ein Stich die verwendete Quelle. Der Stich Overbecks war den Autoren jedoch offensichtlich nicht bekannt. Für die vorliegende Untersuchung konnte der Stich wieder aufgefunden werden und dies öffnet nun den Weg für eine Neubewertung der innovativen Veränderungen und der spezifisch pallottinischen Ikonografie des Gemäldes „Königin der Apostel“.

 

Im Informativprozess zur Seligsprechung Vinzenz Pallottis erklärte Francesco Virili, dass Vinzenz Pallotti die Ikonografie des Gemäldes bestimmt habe: „Er betete zu Gott um Erleuchtung und holte Rat ein; alsdann ersann er das Gemälde, das … die Herabkunft des Heiligen Geistes auf Maria und die Apostel darstellt, und gab es dem Maler an. Er [Pallotti] sagte zu mir: ‚Das ist ein Bild, das für diese Kirche paßt; es ist für unsere Gesellschaft und mehr noch für unser Zeitalter bezeichnend, in dem wir den Heiligen Geist so notwendig brauchen.“ (8)

 

Einige wenige, ausgewählte Hauptwerke der Kunst seien nun im Überblick vorgestellt, die die Möglichkeiten der ikonografischen Umsetzung des Themas Pfingsten in der Kunst aufzeigen. (9) Vinzenz Pallotti waren sicher verschiedene Werke bekannt, zumindest die Vorlage Overbecks hatte er vor Augen. Und dieser wiederum hatte durch sein Studium und aufgrund seiner Reisen durch Europa eine solide Kenntnis der Bildtradition des Pfingstereignisses.

 

Man muss sich zuallererst vor Augen führen, in welchen gestalterischen Zusammenhängen Pfingsten abgebildet wird. Als erster Bereich ist hier die Buchmalerei zu nennen. Schon seit dem Frühchristentum gab es bebilderte oder mit Miniaturen versehene Evangeliare und Lektionare, die die Evangelien und Lesungstexte des Kirchenjahres enthalten. Oft waren Bilder zu den großen Festen, wie auch Pfingsten, eingefügt. Auch in kostbar verzierten Stundenbüchern finden sich häufig Pfingstdarstellungen. Weiterhin begegnet die Herabkunft des Heiligen Geistes in der Wand- und Tafelmalerei, wenn ganze Zyklen verschiedene Szenen aus dem Leben Christi oder dem Leben Mariens abbilden. Verhältnismäßig jung ist die Entwicklung, Pfingsten als zentrales Thema für Altarbilder zu wählen. Dies setzt erst kurz vor der Zeit des Barock ein, als das Pfingstereignis auch zu einem beliebten Thema für die Deckenmalerei wurde.

Die älteste, erhaltene Pfingstdarstellung findet sich im „Rabbula-Evangeliar“ (10) , einer Handschrift, die um 586 im syrischen Raum entstand. Maria, in ein blaues Gewand gekleidet, steht mittig unter den Aposteln in einer durch einen Bogen angedeuteten Scheinarchitektur. Der Geist kommt in Gestalt von Feuerzungen, die von der Geisttaube ausgehen, auf die Anwesenden herab. Diese Ikonografie, Maria mittig unter den Aposteln darzustellen, gehört zu den verbreitetsten Kompositionen der Pfingstdarstellungen.

So zeigt auch eine Zierseite der „Bibel Karls des Kahlen“ Maria in der Mitte des Coenaculums sitzend. (11) Um sie herum an den Wänden des oktogonalen Raumes sitzen die Apostel. Diese Zierseite ist dahingehend interessant, dass sie verschiedene Szenen vereint. Im oberen Drittel der Seite ist die Himmelfahrt Christi zu sehen, und die Menschen, die sich vor den zinnenartigen Mauern des Abendmahlssaals drängen, spielen auf die Pfingstpredigt an. Sehr häufig werden in der Buchmalerei diese drei Szenen aus den ersten beiden Kapiteln der Apostelgeschichte verbunden.

 

Die in der Apostelgeschichte erwähnten anderen Frauen, die neben Maria im Coenaculum anwesend waren, fanden mehrfach Eingang in die Darstellungen der Herabkunft des Geistes, so auch in einer Zierseite des wohl prächtigsten Stundenbuches, das je in Auftrag gegeben wurde. Es handelt sich um die „Très Riches Heures des Duc de Berry“, ausgeführt von den Brüdern Limburg. (12) Ihr Auftraggeber, Jean Valois, der Herzog von Berry, war einer der größten Kunstmäzene seiner Zeit. Die bekannten Kalenderblätter der „Très Riches Heures“ zeigen Szenen des alltäglichen Lebens des Hofes sowie der einfachen Bevölkerung. In der Pfingstdarstellung ist Maria zentral in der Mitte positioniert, akzentuiert durch einen Nimbus. Neben ihr sind weitere Frauen und eine große Anzahl an Jüngern abgebildet, die in einem weiten Kreis in dem prächtig durch Skulpturen ausgeschmückten gotisch anmutenden Abendmahlssaal im Gebet stehend oder kniend den Geist empfangen.

Auch Albrecht Dürer hat das Thema in seiner sogenannten „Kleinen Passion“, einer Folge von Holzschnitten, aufgegriffen. Er zeigt die Apostel sitzend oder stehend in einem nicht näher charakterisierten Raum. (13) Maria sitzt mittig und liest in einem aufgeschlagenen Kodex. Die Geistflammen sind auf jedem Kopf abgebildet. Den Heiligen Geist verkörpert eine Taube in der oberen Bildmitte. Wie kaum ein anderer hat Albrecht Dürer die Kunst zur Zeit des Humanismus und der Reformation geprägt. Insbesondere die Druckgraphik verdankt ihm wichtige Neuerungen. Vor Dürer dienten die Gravuren vornehmlich dazu, berühmte Kunstwerke abzubilden und in großer Anzahl zu reproduzieren. Diese sogenannte Reproduktionsgrafik wurde von Künstlern wie Raffael, Michelangelo und Tizian zur Verbreitung ihres Bekanntheitsgrades genutzt. Dürer schuf nun Platten um ihrer selbst willen und erhob den Holzschnitt und Kupferstich zu einer eigenen Kunstform.

Tizian hat die sicherlich am häufigsten rezipierte Pfingstdarstellung geschaffen. (14) Im Coenaculum ergießt sich der Geist von einer Taube in Lichtstrahlen auf die Apostel, Maria und die Frauen. Je eine Feuerzunge auf jedem Haupt zeigt an, dass die im Abendmahlssaal Versammelten bereits den Geist empfangen haben. Dies lässt die Gruppe nicht unbewegt. Manche erleben das Geschehen eher innerlich, andere strecken sich dem Licht entgegen, und Petrus, rechts im Vordergrund, sinkt auf die Knie. In seiner rechten Hand hält er einen Schlüssel. Schon früh finden sich unter den Pfingstbildern immer wieder Darstellungen, die Petrus durch sein Attribut, den Schlüssel, herausheben, zumeist hält er ihn fest in der Hand oder er trägt ihn einem Gürtel am Gewand.

Der Schlüssel ist auch das interessante Detail im Pfingstgemälde von Juan Bautista Maíno, einem weniger bekannten, spanischen Maler. (15) Petrus wird im Moment des Erstaunens abgebildet. Der Schlüssel fällt ihm aus der Hand, und es scheint, als sei er noch kurz vor dem Auftreffen auf den Fußboden im Bild festgehalten. Die geöffnete rechte Hand Petri zeigt an, dass er den Schlüssel nicht bewusst niedergelegt hat.

In der Zeit des Barock wurde das Pfingstereignis zu einem beliebten Motiv in Deckenfresken. Als Beispiele seien hier „Die Sendung des Heiligen Geistes“ von Cosmas Damian Asam in der Abteikirche Aldersbach im Kreis Passau und das Kuppelbild in Ottobeuren genannt. (16)

Johann Jakob Zeiller, Künstler des Werkes in Ottobeuren, zeigt die für den Barock typische, bis ins Theatralische gesteigerte Darstellungsform. Die Phantasiearchitektur zeigt Elemente klassischer und ägyptischer Bauten und bildet eine Art Bühnenraum für das dramatische Geschehen der Herabkunft des Heiligen Geistes. Maria erwartet zentral in der Mitte flankiert von Frauen den Geist.

Der Eindruck, ein Bühnenbild vor sich zu sehen, ist im Gemälde des neoklassizistischen Malers Jean Restout noch verstärkt. (17) Die Gestik und Mimik der Apostel, Mariens und der Frauen ist bis ins Höchste gesteigert. Die Personen agieren wie Schauspieler auf einer Bühne, was die Gestaltung des Raumes unterstützt. Die Decke des Coenaculums ist durch den hereinbrechenden Geist verhüllt, der sich in Strahlen und glühenden Flammen auf die Personen niederlässt.

Der neben Overbeck wohl bekannteste Vertreter der Künstlergruppe der Nazarener ist Julius Schnorr von Carolsfeld. Auf den Spuren Albrecht Dürers hat er in 240 Holzschnitten Szenen der Bibel illustriert. (18) In seinem Holzschnitt-Konvolut „Die Bibel in Bildern“ zeigt er in seinem Pfingstbild die Apostel mit Maria und den Frauen, die hier allerdings aus der mittigen Position herausgerückt eine Gruppe im rechten Vordergrund bilden.

Den bisher angesprochenen Werken ist gemeinsam, dass Maria immer Teil der Szenerie ist. Doch die Pfingstikonografie ist vielfältiger. Eine Reihe von Werken zeigt allein die männlichen Apostel. Hierbei kommt vor, dass Petrus die Mittelposition einnimmt. Manchmal finden sich auch Petrus und Paulus als Zentralfiguren, wobei interessant ist, dass Paulus abweichend vom Schrifttext in den Abendmahlssaal aufgenommen wird. Weiterhin sind Darstellungen zu finden, in denen Christus mitten unter denen abgebildet ist, die den Geist empfangen. Bisweilen wird die Geistsendung trinitarisch ausgedeutet, dann gehen die Flammen oder Strahlen von Vater, Sohn und Heiligem Geist aus.

 

Johann Friedrich Overbeck war die vielfältige Ikonografie des Pfingstbildes wohlvertraut. Er ist ein Hauptvertreter der bereits erwähnten Künstlergruppe, die unter dem Namen „Nazarener“ bekannt wurde. Dieser heute geläufige Name ist durch Briefe von Johann Wolfgang von Goethe und diverser Kunsthändler und Künstler bezeugt. Die Einwohner Roms fühlten sich durch die langen Haare, die die Künstler in Anlehnung an Albrecht Dürer trugen, an alte Christusbilder erinnert und nannten deren Frisurenstil daher „alla Nazarena“.

 

Die Gruppe selbst, die sich 1809 aus Wiener Kunststudenten zusammenfand, gab sich den Namen „Lukasbund“ in Anlehnung an den Evangelisten Lukas, den Schutzpatron der Künstler. Sie hegten den gemeinsamen Wunsch, die Kunst im Geist des Christentums zu erneuern und wollten Werke nach Art ihrer großen Vorbilder Albrecht Dürer und Raffael schaffen. Die künstlerische Ausbildung an den Akademien erlebten sie als sehr vom Zeitgeist geprägt. So wurde in den Zeichenübungen vor allem die Antike studiert und die Kunst des Barock und des Klassizismus rezipiert. Die in der Gesellschaft zunehmende Säkularisierung war auch in der akademischen Ausbildung deutlich spürbar. Die religiöse Malerei des Mittelalters und der Renaissance spielte kaum noch eine Rolle im Kunststudium.

 

Im Jahr 1810 wechselten die Lukasbrüder, wie sie sich nun selbst nannten, nach Rom und zogen in das leer stehende Franziskanerkloster Sant‘Isidoro ein. Dort lebten sie zurückgezogen, fast monastisch, und widmeten sich nun gänzlich der christlichen Kunst. Nahezu alle Künstler dieser Vereinigung konvertierten zum katholischen Glauben, so auch Johann Friedrich Overbeck.

 

Overbeck, der schon als Kind vor allem durch seinen Vater an die Lektüre der Heiligen Schrift herangeführt worden war, begann im Jahr 1813 seine religiösen Studien zu vertiefen. Dabei wurde er insbesondere durch Pietro Ostini, damals Professor für Kirchengeschichte am Collegium Romanum, später päpstlicher Diplomat, Kardinal und Mitglied der Vereinigung des Katholischen Apostolates beeinflusst, der mit einigen Lukasbrüdern in Kontakt stand. Overbeck schloss sich diesem Kreis an und hörte die Ausführungen Ostinis, dass die Nachfolge Christi die Gemeinschaft der Kirche impliziere. Nach Ostinis Rat studierte Overbeck intensiv die Werke der Kirchenväter. Am 13. April 1813 konvertierte Overbeck zur römisch-katholischen Kirche. Das Sakrament der Taufe spendete Abbate Ostini. Einen Monat darauf schreibt Overbeck in einem Brief an einen Freund, dass Ostini ihm aufgezeigt habe, „daß nemlich nur bei der Kirche die von unserem Herrn geoffenbarten Wahrheiten rein und vollständig aufbewahrt seien, daß es also die Pflicht eines jeden Menschen sei, in ihr die Fülle des Heils zu ergreifen.“ (19) An anderer Stelle führt er aus, der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit sei es, die Stimme der Kirche zu hören, „der Kirche, die von Christo gegründet worden zum Unterricht für Alle, verbreitet zu dem Ende durch alle Völker, sichtbarlich fortbestehend in der Succession der Hirten und des gläubigen Volkes durch alle Jahrhunderte. Weßhalb die Kennzeichen dieser Kirche sind: Einheit, Sichtbarkeit, Unaufhörlichkeit, Abstammung von den Aposteln her, Katholicität und Heiligkeit.“ (20)

 

Um die Kunst Overbecks zu verstehen, muss man seinen glühenden Eifer für die Verbreitung des Glaubens und für die katholische Kirche bedenken. So war es nicht verwunderlich, dass im Juli 1836 der Comte de Montalembert, Pair de France, brieflich mit der Anfrage an Overbeck herantrat, zwölf Zeichnungen als Entwürfe für Andachtsbilder für ein Gebetbuch anzufertigen. Graf Montalembert gehörte zu einem Kreis von engagierten, wohlhabenden Katholiken in Frankreich, die den Glauben in ihrem Land wiederbeleben wollten und sich vornehmlich dem Schriftenapostolat widmeten. Im Auftrag des Verlegers Léon Curmer schrieb Montalembert an Overbeck und bat ihn um Mitarbeit. (21) Overbeck nahm den Auftrag an, und seine Zeichnungen wurden durch verschiedene Kupferstecher umgesetzt. Der Stich, der das Pfingstereignis zeigt, wurde von Joseph von Keller ausgeführt, dem späteren Professor für Kupferstich an der Düsseldorfer Akademie. Keller schrieb in einem Brief an Overbeck, wie sehr ihn die „tief religiösen Schöpfungen“ (22) Overbecks anrührten. Overbeck seinerseits betonte, dass er mit den Ergebnissen von Kellers Arbeit mehr als zufrieden war. Er schrieb an Keller nach dem Erhalt eines Probedrucks: „Sie haben die alten Meister mit mehr Erfolg, als ich nur irgendwie erwartet hatte, angesehen, und es bleibt mir nichts übrig, als Sie zu ermuntern, auf diesem Wege fortzufahren (…).“ (23) Das fertige Gebetbuch, die „Heures Nouvelles“, ein Stundenbuch mit 12 Stichen zu Szenen aus dem Leben Christi, lag dann 1839 vor. Das Buch fand regen Anklang und wurde 1842 nochmals beim Verlag L. Curmer aufgelegt. 1840 dienten die 12 Stiche auch als Illustration zum Gebetbuch „Passion de N. S. Jésus Christ“ erschienen bei Ritter und Goupil in Paris.

 

Nach heutigem Kenntnisstand aller bekannten und erhaltenen Werke sowie des Nachlasses von Johann Friedrich Overbeck ist sicher davon auszugehen, dass der Stich aus den „Heures Nouvelles“ die von Virili erwähnte Vorlage für Vinzenz Pallotti war. (24)

Es ist nun natürlich zu fragen, wieso Vinzenz Pallotti genau diese Pfingstdarstellung auswählte und woher er den Stich kannte. Es gibt keine Belege, dass sich Vinzenz Pallotti und Johann Friedrich Overbeck kannten. In den Schriften und Briefen Pallottis ist der deutsche Künstler nicht namentlich erwähnt. Im Nachlass Overbecks findet sich in all den Briefen keine Nennung Pallottis. (25) Dennoch ist eine persönliche Bekanntschaft in der Zeit, in der beide in Rom lebten, nicht ausgeschlossen. Naheliegend erscheint die Verbindung über Kardinal Ostini. Selbst Mitglied der Vereinigung des Katholischen Apostolates hatte er engen Kontakt zu Overbeck, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass er auch von den Projekten des Künstlers Kenntnis hatte und so vermutlich auch ein Exemplar der „Heures Nouvelles“ besaß. Unter den Büchern Vinzenz Pallottis finden sich weder die „Heures Nouvelles“ noch die „Passion de N.S. Jésus Christ“. (26) Es wäre also denkbar, dass Ostini Pallotti auf dieses Druckwerk aufmerksam machte. Auch der aus Frankreich stammende Paul de Geslin, zur Entstehungszeit des Gemäldes ein Mitglied der Hausgemeinschaft in San Salvatore in Onda, kommt als Quelle in Frage.

Nun müssen die Unterschiede zwischen Stich und Gemälde betrachtet werden. Der Stich Overbecks zeigt die Apostel in zwei Gruppen rechts und links neben Maria und den Frauen. Cesaretti hingegen erweitert das Gemälde an beiden Seiten, so dass die Apostel einen Kreis um die Frauen in der Mitte bilden. In der Version Overbecks wird die Herabkunft des Geistes durch kleine Flammen auf den Köpfen visualisiert, wohingegen Cesaretti zusätzlich Strahlen von der Geisttaube ausgehen lässt, und er vergrößert die Flammen, die im Gemälde wie glühend erscheinen. Betrachtet man Maria im Stich aus den „Heures Nouvelles“, so wird sie nicht eigens akzentuiert. Im Gemälde „Königin der Apostel“ ist sie hingegen durch einen Nimbus aus der Gruppe herausgehoben. Der Raum, in dem sich bei Overbeck das Pfingstgeschehen ereignet, ist unten eng begrenzt. Cesaretti erweitert den Raum deutlich nach oben und unten, was auch durch die Hinzufügung der Schlüssel, die Petrus im Gemälde „Königin der Apostel“ neben sich auf dem Boden abgelegt hat, bedingt wird. Bei Overbeck ist keiner der Apostel durch ein Attribut gekennzeichnet. Im Unterschied zum Stich wird der Coenaculumsraum im Gemälde scheinbar gesprengt durch die Strahlen, die aus dem Bild hinausführen zu wollen scheinen.

 

Will man den Anteil Vinzenz Pallottis an diesen Veränderungen identifizieren, so ist auch nach den künstlerischen Fähigkeiten Cesarettis zu fragen. Hat er eigenmächtig die Ikonografie verändert oder führte er aus, was ihm aufgetragen wurde? Serafino Cesaretti hatte sich vornehmlich als Kupferstecher einen Ruf erworben. Als Kupferstecher war er natürlich auch in der Malerei ausgebildet. Da von ihm kaum Gemälde belegt sind, ist davon auszugehen, dass die größere Begabung Cesarettis nicht in kreativem, eigenständigem Malen lag, sondern eher in einer genauen Umsetzung von Gemälden oder Zeichnungen in das Medium des Kupferstichs.

Immer wieder vergab Pallotti Aufträge an Künstler mehr aus caritativen als aus künstlerischen Beweggründen. „Bei Künstlern war er weniger daran interessiert, ob sie große Kunstwerke schufen, als daran, ob sie in Not waren. In diesem letzteren Falle sorgte er für Aufträge, auch wenn keine Meisterwerke dabei herauskamen. Es waren vor allem die beiden Maler Cesaretti und Cassarotti, die auf diese Weise immer wieder seine und seiner Mitarbeiter Hilfe erfuhren.“ (27)

Den Verdacht, dass Pallotti dem Talent des Malers weniger Bedeutung beimaß, scheinen gerade jene Stellen im Gemälde zu bewahrheiten, die gegenüber der Vorlage verändert wurden. Betrachtet man die Gesichter der Apostel so erscheint die Ausführung Cesarettis gegenüber den feinen mimischen Ausdrücken des Stichs sehr ungelenk. An der rechten Bildseite wurde eine zusätzliche Figur unelegant in die Gruppe eingefügt. Überall dort, wo die gestochene Vorlage exakt übernommen wurde, zeigt sich, dass das Kopieren keine Schwierigkeit für Cesaretti darstellte. Auch die farbige Gestaltung beweist, dass er sich in den nazarenischen Kunststil mit den plakativen Farben und der abgrenzenden Kontur um die Figuren gut eingesehen hatte. Sein Talent lag in der zeichnerischen Reproduktion und sicher auch in der farbigen Ausgestaltung, nicht jedoch im eigenständigen Entwurf. Die Veränderungen gegenüber der Stichvorlage wurden vermutlich nur mündlich vermittelt, daher wird hier die weniger begabte Hand Cesarettis sichtbar.

Nochmals sei in diesem Zusammenhang auf die Aussage Virilis im Informativprozess verwiesen: „Er [Pallotti] betete zu Gott um Erleuchtung und holte Rat ein; alsdann ersann er das Gemälde, das … die Herabkunft des Heiligen Geistes auf Maria und die Apostel darstellt, und gab es dem Maler an.“ (28) Diese Textstelle legt zudem nahe, dass die aufgezeigten Veränderungen im Vergleich zum Stich Overbecks eindeutig Vinzenz Pallotti zuzuschreiben sind.

 

Es ist durchaus vorstellbar, dass Vinzenz Pallotti sich vom Stich Overbecks angesprochen fühlte. Maria, die Frauen und die Jünger sind im Gebet vereint. Es ist ein ruhiges, vertrauensvolles Beten. Pallotti hat kein barockes Gemälde als Vorlage ausgesucht, in dem die Theatralik eine große Rolle spielt. Beim Stich Overbecks hat das innere Erleben den Vorrang, ganz nach der Zielsetzung der nazarenischen Kunst. Eine direkte Ausarbeitung der gestochenen Vorlage in ein Gemälde war Vinzenz Pallotti jedoch zu wenig. Nach seinem Gebet waren ihm noch weitere Akzente wichtig und diese ‚gab er dem Maler an‘.

Wir sehen nun die Jüngerschaft Jesu – Männer und Frauen – in einem Kreis. Sie beten gemeinsam. Im Gebet sind alle gleich wichtig. Unterschiedliche Aufgaben werden nicht negiert, so sind die Schlüssel Petri als Zeichen seines Amtes vorhanden, aber beim Zusammenkommen im Coenaculum zum Gebet sind sie abgelegt und alle im Raum erwarten gemeinsam den Geist, der ihnen geschenkt wird. Maria gibt ein Beispiel und ist doch mitten unter allen. Der Geist kommt von oben und strahlt aus – auf die versammelte Gemeinschaft, an die Grenzen des Bildfeldes und drängt darüber hinaus.

 

In seiner Biografie Pallottis schreibt Josef Frank: „Um die Allgemeinheit des Apostolates besser auszudrücken, ließ er, abweichend von Overbeck, in den Kreis der Apostel zwei fromme Frauen malen.“ (29) Wie die Vorlage zeigt, waren die beiden Frauen jedoch bereits von Overbeck dargestellt. Wenn bisher immer auf die beiden Frauen als Hinzufügung Pallottis verwiesen wurde, so kann deutlich ausgesagt werden, dass die Frauen nicht das Innovative an dem Bild sind, wie der Überblick über die Pfingstikonografie deutlich gemacht hat.

 

Die entscheidende Abweichung gegenüber der Stichvorlage ist die Einfügung der abgelegten Schlüssel Petri. Pfingstbilder, in denen Petrus durch Schlüssel als Attribut gekennzeichnet wird, waren keine Seltenheit. In manchen Darstellungen fallen ihm die Schlüssel aus der Hand und treffen auf den Fußboden auf. In diesen Varianten ist Petrus jedoch ganz bewegt abgebildet und deutet damit ein Erstaunen oder Erschrecken an. Im Bild „Königin der Apostel“ begegnen wir hingegen einem ruhig betenden Petrus, der die Attribute seines Amtes bewusst abgelegt hat. Dies ist eine Pfingstikonografie, die kunsthistorisch bisher nicht nachweisbar war, was darauf hindeutet, dass Pallotti mit dem Altarbild der „Königin der Apostel“ bewusst eine neue geistliche Aussage treffen wollte.

 

Auch wenn also das durch Serafino Cesaretti ausgeführte Gemälde im Hinblick auf die künstlerische Qualität als nicht sehr hochwertig einzuordnen ist, ist es doch ein ikonografisch faszinierendes Werk, dessen weitere Ausdeutung im Rückgriff auf die Schriften Pallottis mit Spannung zu erwarten ist. So soll zum Schluss ein Zitat Pallottis zur weiteren Betrachtung des Bildes „Königin der Apostel“ anregen: „Wo immer ich auch bin, will ich mir vorstellen, mit allen Geschöpfen zusammen im Coenaculum von Jerusalem zu sein, wo die Apostel den Heiligen Geist empfingen. […] Und noch öfters als ich kann, will ich mir vorstellen, daß über uns die Fülle, der Vollbesitz des Heiligen Geistes herabsteigt, während ich und die anderen Geschöpfe usw. im Coenaculum weilen.“ (30)

 

Sr. Astrid Meinert SAC

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